Jürgen Moltmann wird am 8. April 90 Jahre alt.
Jürgen Moltmann: „Old New Orleans Jazz.”
Das ist der Sound der Theologie von Jürgen Moltmann.
„Sie kennen diesen Leichenzug, wo erst getragene Trauermusik gespielt wird und dann schlägt das plötzlich um in Tanzmusik.“
Unerwartet bricht das Neue und Frohe in die traurige Gegenwart: berühmt wurde Jürgen Moltmann 1964 mit der „Theologie der Hoffnung“. Angeregt und fasziniert hatte ihn „Das Prinzip Hoffnung“ des marxistischen Philosophen Ernst Bloch.
„Die Theologie der Hoffnung war der Versuch, das Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch, das eine Säkularisierung der jüdisch-christlichen Hoffnung darstellt im marxistischen Sinne, wieder auf die theologischen Ursprünge zurück zu führen. Und der Punkt, um den es dabei geht, ist der Tod. So lange der Tod bleibt, solange können Menschen nicht endgültig zu Hause sein.“
Gegen den Tod stellte Moltmann nicht nur die Hoffnung auf die Auferstehung des Einzelnen, sondern eine Hoffnung auf die Verwandlung der Welt hin zum Reich Gottes, das sich schon in der Gegenwart ausbreite. So verband er politisches Engagement für eine bessere Welt mit der christlichen Hoffnung über den Tod hinaus.
Einer der Gründerväter der „Politischen Theologie“
Dabei war Moltmann der Glaube nicht von seinem säkularen Hamburger Elternhaus mitgegeben: Aber ein dramatisches Kriegserlebnis führte ihn zu der Frage nach Gott.
„Die Frage überfiel mich zuerst während der Operation Gomorrha, der Luftangriff auf Hamburg im Juli 1943. Ich lag mit meiner Klasse in der Alsterbatterie und wir wurden von Bomben eingedeckt. Die Bombe, die den Freund neben mir zerriss, hat mich verschont. Und in der Nacht habe ich zum ersten Mal gefragt: Wo ist Gott? Meine Frage war nicht: Warum lässt Gott das zu, sondern meine Frage war: Wo ist Gott?“
Als Angehöriger der sogenannten Flakhelfergeneration fühlte Moltmann eine besondere Verantwortung angesichts des Holocausts. Zusammen mit seinem katholischen Kollegen Johann Baptist Metz wurde er als junger Theologieprofessor einer der Gründerväter der „Politischen Theologie“:
„Die Idee war aber nicht Politik, sondern die Idee war Auschwitz: So lange den Toten von Auschwitz keine Gerechtigkeit widerfährt, so lange sind sie uns gegenwärtig und so lange drängen sie uns aus dem Privatgehäuse von Religion und Theologie heraus in die politische Arena.“
Dabei durchdrang Moltmann ausgehend von politischen Fragen die theologische Tradition tief: Sein Buch „Der gekreuzigte Gott“ zeigte einen Christus, der mit den Opfern in der Welt mitleidet. Ausgehend davon entwickelte Moltmann, der von 1967 bis 1994 in Tübingen lehrte, eine trinitarische Theologie, also eine Theologie, die die drei Personen der Gottheit: Vater, Sohn und Heiliger Geist ernst nimmt.
Auch in seinen grundlegenden Werken zu den einzelnen Themenfeldern der Dogmatik blieb die Hoffnungsperspektive aus seinem Frühwerk leitend: Gott komme den Menschen aus der Zukunft entgegen, wie es in dem modernen Kirchenlied von Klaus Peter Hertzsch heißt:
„Vertraut den neuen Wegen,
auf die uns Gott gesandt!
Er selbst kommt uns entgegen.
Die Zukunft ist sein Land.“
Blick auf die Zukunft gerichtet – nicht auf die Vergangenheit
Für Moltmann wächst die Gegenwart nicht aus den Gegebenheiten der Vergangenheit, sondern aus den unendlichen Möglichkeiten der Zukunft.
„Jede Gegenwart entwickelt sich aus den Möglichkeiten der Zukunft und in den Möglichkeiten der Zukunft sind auch die Möglichkeiten Gottes enthalten, das heißt, das überraschend Neue, das Unberechenbare.“
Mit diesem Blick in eine Zukunft voller Möglichkeiten war Moltmann ein typischer Vertreter seiner Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Beruf ging und von der Hoffnung auf Fortschritt und Modernisierung getragen wurde. Das Zeitgefühl aber hat sich inzwischen grundlegend geändert: In unseren Breiten können sich viele Menschen nicht mehr vorstellen, dass es ihren Kindern besser gehen wird als ihnen selbst. In den Kirchen der Schwellen- und Entwicklungsländer ist die Hoffnung auf Veränderung mitunter noch lebendiger. Dort wird Moltmann geschätzt und gelesen; davon zeugen auch die Übersetzungen seiner Werke in 15 verschiedene Sprachen.
„In jedem Vater-Unser-Gebet heißt es ‚Dein Reich komme, wie im Himmel, so auf Erden‘. Man wartet darauf, dass der Gott, der die Welt geschaffen hat und sie erhält, auch den Prozess, in dem sich die Welt befindet, vollendet und das wird vorgestellt in verschiedenen Bildern: vom Reich Gottes, in dem Gott alles durchdringt mit seiner Schönheit und mit seiner Lebendigkeit, so dass Friede und Gerechtigkeit sich küssen werden – und von diesem Reich Gottes heißt es: Es ist nahe, so dass wir in seiner Nähe schon leben können. In dem wir darauf hoffen, öffnen wir alle unsere Sinne für die ankommende Wirklichkeit, so dass wir die Möglichkeiten, die diesem Reich Gottes entsprechen, verwirklichen und die Möglichkeiten, die ihm widersprechen, ausschließen. So ist das eine sehr konkrete und lebbare Erfahrung, glaub ich.“
Diese christliche Hoffnung hatte es leichter in einer Zeit des Modernisierungsoptimismus, einer Zeit auch der linken gesellschaftlichen Utopien. Abzuwarten bleibt, ob Moltmanns Theologie auch noch nachfolgenden Generationen etwas zu sagen hat, die nicht mehr die unendlichen Möglichkeiten der Zukunft sehen, sondern ein Ende des Wachstums organisieren müssen.
Deutschlandradio Kultur / Religionen am 10.4.2016