Die EKD zum Afghanistan-Einsatz.
Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu aktuellen ethischen Fragen haben oft Kompromisscharakter. Deshalb können sich nachher meist Vertreter unterschiedlicher Positionen durch die entsprechenden Papiere bestätigt fühlen. Die »Kammer für Öffentliche Verantwortung« der EKD hat nun kürzlich eine Bilanz zum deutschen Afghanistan-Einsatz vorgelegt, bei der die Kammer keinen Kompromiss mehr gefunden hat – zu unterschiedlich waren die vertretenen Positionen. Daher hat man in dem Text an verschiedenen Stellen zwei Positionen präsentiert: Ein Teil der Kammer sagt so, der andere anders.
Diese Benennung des Dissenses ist für eine kirchliche Stellungnahme ein Novum. Im Effekt ändert das freilich wenig: Nun können sich noch mehr Positionen durch eine Stellungnahme der Kirche bestätigt fühlen. Oder anders ausgedrückt: Wofür die Evangelische Kirche nun eigentlich steht beim Thema Krieg und Frieden, das bleibt unklar.
Dabei sollte das Papier so etwas wie die Nagelprobe für die neue friedensethische Leitlinie der EKD sein. Im Jahr 2007 hatte die Kirche zum Thema Frieden eine Denkschrift vorgelegt – also jene Form kirchlicher Äußerung mit der höchsten Autoritätsstufe. Damals war man stolz, die alte Lehre vom gerechten Krieg durch das neue Leitbild vom gerechten Frieden ersetzt zu haben. Mit der Afghanistan-Stellungnahme sollten nun die Leitlinien der Friedensdenkschrift auf einen konkreten Fall angewendet werden – um damit zweierlei zu klären: Ist der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan als notwendiges und damit gerechtfertigtes Mittel anzusehen, um einen gerechten Frieden zu erreichen? Aber auch: »Bewährt sich das Leitbild des gerechten Friedens im Einsatz oder muss es von den Erfahrungen in Afghanistan her konkretisiert, präzisiert oder sogar korrigiert werden«, so der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, in seinem Vorwort zur aktuellen Stellungnahme.
Einerseits scheint es plausibel, dass Erfahrungen aus einer konkreten Konfliktsituation die Prinzipien korrigieren dürfen. Andererseits: Hatte man den Afghanistan-Einsatz im Jahr 2007 nicht auch schon vor Augen? Warum überprüft die EKD nach so kurzer Zeit die eigenen Positionen schon wieder? Zumindest die eine Fraktion der Kammer, die dem Militäreinsatz positiver gegenüber steht, »weicht von dem ab, was 2007 geschrieben worden ist«, wie es der Theologieprofessor Hans-Richard Reuter mit Bedauern auf den Punkt bringt.
Unterschiedliche Meinungen gab es zum Beispiel bei der Berufung der kriegführenden Parteien auf das Selbstverteidigungsrecht. Während die einen meinten, dass diese Begründung nach der Entmachtung des Taliban-Regimes eigentlich erschöpft gewesen sei, sehen die anderen gerade wegen der unübersichtlichen Lage das Selbstverteidigungsrecht weiter als legitimen Kriegsgrund an: »Nach den Erfahrungen in Afghanistan sei über das in der Friedensdenkschrift ausdrücklich Gesagte hinaus anzuerkennen, dass ein militärisches Engagement über längere Zeit hinaus erforderlich sein könne, um einen Rückfall in eine unmittelbare Bedrohungssituation zu verhindern.«
Da die USA sich zu Beginn des Afghanistan-Krieges auf das Selbstverteidigungsrecht beriefen, waren die NATO-Länder über ihre Bündnissolidarität gefordert. Hier urteilt die militärkritische Position in der EKD-Kammer, dass der Gesichtspunkt der Bündnissolidarität im Zweifelsfall keinen Vorrang haben dürfe vor eigenen friedensethischen und rechtlichen Überlegungen. Die andere Position betont hingegen, dass die Bündnistreue auch dann ins Gewicht falle, wenn sich daraus Konsequenzen ergäben, »die sich nicht immer leicht mit den eigenen politischen und ethischen Auffassungen vereinbaren« ließen.
Erneut wird hier die Spannung zur Friedensdenkschrift deutlich, die an verschiedenen Stellen betont, dass »bündniskonformes Verhalten« nicht eine klare völkerrechtliche Mandatierung und plausible friedenspolitische Gründe ersetzen dürfe.
Eine divergierende Wirklichkeitswahrnehmung zeigt sich bei der Praxis des gezielten Tötens vermeintlicher Terroristen. Die einen sahen dies weder vom Völkerrecht noch von friedensethischen Überlegungen gedeckt. »Die andere in der Kammer vertretene Position bestreitet, dass es eine solche ›institutionalisierte Praxis des gezielten Tötens nichtstaatlicher Gewaltakteure, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen‘, gibt.« Mit anderen Worten: Wer zum gezielten Töten freigegeben wurde, war eben auch ein Kämpfer.
Zwar gehe es in der Stellungnahme nicht um eine »umfassende Evaluation« des Afghanistan-Einsatzes, wie Nikolaus Schneider im Vorwort schreibt, sondern nur um die »Zielentscheidungen, die die Richtung des Handelns bestimmen«, aber natürlich spielt es dennoch eine Rolle, wie insgesamt der Erfolg des militärischen Einsatzes in Afghanistan gesehen wird. In der Stellungnahme dominieren kritische Einschätzungen, weil das Erreichte an dem Ziel eines gerechten Friedens gemessen wird. Zu wenig Energie sei in den zivilen Aufbau gesteckt worden. Befürworter des Einsatzes sprachen bei der Vorstellung der Stellungnahme in Berlin von Erfolgen bei Schulbildung, Pressefreiheit, dem Aufbau einer Internet-Infrastruktur und der gesellschaftlichen Aufwertung der Frauen – und bemängelten, dass der EKD-Text diese Erfolge zu gering gewichtet habe.
Unterm Strich bleibt, dass der eine Teil der Kammer meint, dass der Afghanistan-Einsatz den Prinzipien der Friedensdenkschrift nicht gerecht werde und seine Legitimität deshalb in Frage gestellt werden müsse. Der andere Teil der Kammer aber scheint das Problem eher auf Seiten der Denkschrift zu sehen; diplomatisch, aber dennoch deutlich, heißt es: »Es sei geboten, nicht die Prinzipien, wohl aber die auf einzelne Handlungssituationen bezogenen Kriterien der Friedensdenkschrift weiterzuentwickeln.«
Publik Forum / 14.2.2014