Paulus-Dom in Münster. Foto: Dietmar Rabich, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35095931

Aufklärung? Die geplante Missbrauchsstudie im Bistum Münster

Das Bistum Münster beauftragt vier Forscher der Universität Münster die Akten zu untersuchen zum Thema sexueller Missbrauch durch Geistliche und dessen Vertuschung. Schafft das nun Transparenz? Ein Kommentar:

Der Priester Heinz Pottbäcker aus dem Bistum Münster war – nach allem was wir wissen – ein Serientäter; der auch nach seiner strafrechtlichen Verurteilung im Jahr 1968 bis in die neunziger Jahre weiter als Priester eingesetzt wurde und weiterhin Kinder missbrauchte. Einige Bischöfe, Generalvikare und Personalchefs müssen ihm durch alle Anschuldigungen hindurch ermöglicht haben, als Priester weiterzuarbeiten. 2012 wurde die Bistumsleitung an den inzwischen verstorbenen Pottbäcker erinnert – von einem Mann, der als Junge von ihm missbraucht worden war. Sechs Jahre später hat die Bistumsleitung Ende 2018 den Fall Pottbäcker endlich öffentlich gemacht und weitere Aufklärung versprochen. Nun, ein weiteres Jahr später soll also ein großes Forschungsprojekt nicht nur Pottbäckers Fall, sondern alle Fälle von Missbrauch und Vertuschung im Bistum schonungslos aufklären.

Wir erinnern uns: Die katholische Kirche hat das Thema massenhaften Missbrauchs spätestens seit 2010 auf der Agenda, ein großes bundesweites Forschungsprojekt brachte vor einem Jahr erschreckende Zahlen, aber keine Namen von Verantwortlichen zutage. Das hatte man wohlweislich den Forschern vorab verboten. Nun wollen die Münsteraner Forscher auch Namen nennen. Spätestens im Jahr 2022, wenn sie Ergebnisse vorlegen. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier auf Zeit gespielt wird. Die katholische Kirche insgesamt und das Bistum Münster hätten schon längst viel mehr an Aufklärung leisten können, der jeweils nächste Schritt erfolgte immer nur unter Druck von Missbrauchs-überlebenden oder der Öffentlichkeit. Okay, wir bekommen mit dem Münsteraner Forschungs-Projekt ein paar Scheiben mehr in der Salami-Taktik der Aufklärung. Besser als nichts, klar, aber viel wird das nicht sein.

Denn die Personalakte von Heinz Pottbäcker ist nach Angaben des Bistums Münster sehr dünn. Außer der Versetzung Pottbäckers nach Rhede durch den damaligen Generalvikar und späteren Bischof Reinhard Lettmann könne man keinem leitenden Geistlichen persönliche Verantwortung nachweisen, heißt es. Was sollen die Forscher aus so einer bedauerlichen Aktenlage also ermitteln? Sie können und wollen Zeitzeugen fragen: Betroffene von Missbrauch, Beschuldigte, aber auch ehemalige Verantwortliche aus der Bistumsleitung. Letztere hätten sich schon längst äußern können, wenn ihnen die Überlebenden des Missbrauchs wirklich ein Anliegen wären; z.B. der emeritierte Hamburger Erzbischof Werner Thissen. Der war in den 80er und 90er Jahren Generalvikar im Bistum Münster. Eine Interviewanfrage des WDR hat er abschlägig beschieden und auch sonst hat man von ihm bisher nichts gehört zu seiner Rolle im Bistum Münster beim Thema Missbrauch. Er versprach jetzt, „der Aufarbeitung im Bistum Münster zur Verfügung zu stehen.“ Wird er ehrlich und umfassend den Forschern der Uni Rede und Antwort stehen – wenn ihm keine Anonymität zugesichert wird? Warten wir’s ab.

Und zuletzt: Der Leiter des großen Forschungsprojektes zu Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland, der Mannheim Psychiater Harald Dreßing, hat es deutlich gesagt: Forschung zu Missbrauch ist keine Aufarbeitung. Aufarbeitung müsse zusammen mit den Betroffenen auf Augenhöhe geschehen. Warum hat sich noch kein Verantwortlicher aus der Kirchenhierarchie mit Missbrauchsüberlebenden öffentlich hingesetzt – nicht um im Namen der Kirche um Vergebung zu bitten, sondern um ehrlich über seine eigene Verantwortung zu reden, wie er mitgeholfen hat, Missbrauchsvorwürfe gegen Priester für die Kirche gesichtswahrend zu managen. Wenn ein hoher Kirchenmann sich bei so einem Treffen erschüttert zeigen könnte über das, was er getan hat, wenn er sich mit seinem Versagen angreifbar und verletzlich zeigen könnte – vielleicht würde eine Brücke zu denen gelingen, die von Kirchenmännern und -frauen unendlich tiefer verletzt wurden. Aber ganz sicher kann man diese Aufgabe nicht an die Wissenschaftler von der Uni delegieren.

WDR 5 / Diesseits von Eden am 22.9.2019