Franziskus lässt sich von Papst Innozenz III. seine Ordensregel bestätigen. Fresko von Giotto di Bondone (ca. 1295). The Yorck Project (2002), 10.000 Meisterwerke der Malerei, Public Domain.

Franziskus von Assisi ohne Heiligenschein

Eine Rezension.

Der Arme, der den Reichtum verachtete, der mit den Tieren sprach und die Schönheit der Schöpfung besang – ein sympathischer Aussteiger-Typ, ein früher Öko- und Sozial-Rebell, der über die Jahrhunderte hinweg Menschen unmittelbar anzusprechen scheint. Der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin hat es sich zur Aufgabe gemacht, Franz von Assisi wieder aus der trügerischen Nähe in die Ferne des frühen 13. Jahrhunderts zu rücken. Dabei muss er sich durch die Schichten legendarischer Übermalung durcharbeiten, denn die frühen Zeugnisse vom Leben des Franziskus haben im Menschen immer schon den Heiligen gesehen. Leppin sucht in der Fremde einen Menschen:

Der Sohn eines Tuchhändlers erlebte den Aufstieg des Bürgertums und des Geldes als Zerstörung einer alten Welt. Franz versuchte sich als Ritter und wollte seiner Herkunft nach oben, in Richtung Adel, entfliehen. Er scheiterte und fand ein Zuhause bei denen, die am unteren Rande der Gesellschaft standen, den Leprakranken. Eine klare religiöse Vision, so Leppin, fehlte dem Aussteiger bis dahin. Der Vater brachte ihn vor das Kirchengericht wegen Veruntreuung von Vermögen. Und die Kirche, die den aufstrebenden Händlern misstrauisch gegenüber stand, schützte das abweichende Verhalten des jungen Mannes – und sie hielt in ihrer Tradition Formen bereit, die seinem Außenseitertum einen Sinn gaben. So fand der junge Mann, der sich selber ausgestoßen hatte, nachträglich eine religiöse Berufung.

Diese überzeugende Rekonstruktion von Volker Leppin erklärt auch, was von heute betrachtet oft als Widerspruch erscheint, dass nämlich der arme Wanderprediger sich bestens mit den mächtigen Kirchenfürsten seiner Zeit verstand und deren Einverständnis suchte. Franz fand in der Kirche Schutz und Sinn für sein Außenseitertum und verpflichtete deswegen diejenigen, die ihm nachfolgten, auf strengen Gehorsam gegenüber der Kirche und ihren Repräsentanten, den Klerikern. Und die Kirche nahm das Angebot eines gehorsamen Armen dankbar an: Den konnte sie mit Hilfe eines Ordens integrieren und damit Treue gegenüber der eigenen Tradition signalisieren. Diejenigen, die ihr Ideal eines apostolischen Lebens nicht nur gegen das Bürgertum, sondern auch gegen die reiche und verweltlichte Kirche richteten, die wurden zur selben Zeit als Ketzer bezeichnet und verfolgt. Der vermeintliche Rebell Franz wird kenntlich als frommer und gehorsamer Sohn der Kirche.

Darüber hinaus macht Leppin auch klar, dass Franz nicht nur von der Schönheit der Schöpfung und des einfachen Lebens predigte, was uns heute als Sehnsuchtsbild eingängig sein mag, sondern auch und zentral von der Buße, die notwendig sei um dem Gericht Gottes zu entgehen. Und das richtete sich nicht nur gegen die Reichen, sondern dieser Umkehrruf richtete sich an alle. Eigentlich sollten alle so radikal dem Beispiel Jesu folgen und arm durch die Welt ziehen und das Evangelium verkünden. Franz hatte mit seiner Botschaft und seiner Lebensweise großen Erfolg: Von seiner religiösen Berufung bis zu seinem Tod waren es weniger als zwanzig Jahre, aber bis dahin war schon eine mehrere tausend Mann starke Gemeinschaft um den Meister gewachsen mit einer päpstlich approbierten Regel. Leppins Korrekturen an einem zu einfachen und glatten Bild des Franziskus kommen dabei keineswegs als Dekonstruktion daher: Es bleibt das Bild eines beeindruckenden Charismatikers, der sich selber nicht geschont hat; der aber eine Botschaft hinterlassen hat, die heute an vielen Stellen sperrig ist.

Leppin nimmt den Leser in einer einfachen und schönen Prosa mit in eine fremde Welt. Aber er ist doch Wissenschaftler genug, dass er immer wieder die unterschiedlichen Quellen, die es zum Leben des Franz gibt, ausbreitet und diskutiert: Welcher Version ist an dieser Stelle aus welchen Gründen der Vorzug zu geben oder warum muss man hinter den Quellen noch einen anderen Sachverhalt annehmen? Das hat den Vorteil, dass seine Rekonstruktion der Vita des Franz sehr transparent ist. Aber indem Leppin sozusagen fortwährend das Gerüst seiner Biografie freilegt, geht etwas der Erzählfluss verloren. Manche Leser wären sicher auch glücklich, wenn Leppin einfach seine Version erzählte ohne den Ballast der Quellendiskussion. Ansonsten aber ein sehr anregendes Buch, das die Wissenschaftliche Buchgesellschaft auch schön gestaltet hat in einem großzügigen Format mit guten schwarz-weiß-Reproduktionen und Fotos.

Volker Leppin, Franziskus von Assisi, wbg theiss, Darmstadt 2018, 368 Seiten, 29,95 €

SWR 2 / Lesenswert vom 16.11.2018