Foto: Raffael, Fresko der Gerechtigkeit in der Sixtinischen Kappelle, The Yorck Project (2002), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=157716

Wir brauchen gerechte Preise!

„Der Markt macht den Preis.“ Das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Das ist die Standardantwort von Konzernvertretern, wenn man darauf hinweist, dass die Näherinnen in Bangladesch oder die Kakaobauern an der Elfenbeinküste für ihre Arbeit bzw. die Produkte ihrer Arbeit zu wenig Geld bekommen. So wenig, dass es für ein würdiges Leben nicht reicht. Der Markt macht den Preis. Und die Gerechtigkeit?

Die kommt erst dann ins Spiel, wenn das Geschehen auf dem Markt vorbei ist. Wenn wir von sozialer Gerechtigkeit reden, dann meinen wir in der Regel die Umverteilung der Marktergebnisse mit Hilfe von Steuern und Sozialtransfers. Oder wir reden von Chancengerechtigkeit: Dann geht es darum, den Zugang zum Markt gleichberechtigt zu organisieren. Aber der Markt selber ist nicht gerecht oder ungerecht, er funktioniert nach einer anderen Logik, nach der von Angebot und Nachfrage eben.

Der Markt galt nicht immer als Naturgesetz

Das war nicht immer so: Also, dass bei einem hohen Angebot die Preise sinken und bei einem knappen Angebot die Preise steigen, das ist schon ein alter Hut. Die Klagen über Teuerungen zum Beispiel bei Hungersnöten (also knappem Getreideangebot) kann man schon in der Antike hören. Das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage war den Menschen also bekannt. Was aber anders war: Man hat damals darin kein „Gesetz“ gesehen, das wie ein Naturgesetz zu jeder Zeit gelte und gegen das man, genau wie gegen die Schwerkraft, leider nichts unternehmen könne. Sondern man sah in den Akteuren auf dem Markt immer moralisch verantwortliche Personen.

Das heißt, das Thema von Angebot und Nachfrage war ein eminent ethisches Thema: Der Händler oder der Bürger, der Getreide gesammelt hatte und es in der Hungersnot für einen teureren als den üblichen Preis verkaufte, der galt als einer, der das Gemeinwohl schädigte. Das gesamte Mittelalter über fokussierte sich die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit auf die Frage nach dem gerechten Preis, auf die Transaktion zwischen Käufer und Verkäufer, also auf das Geschehen auf dem Markt: Die Gerechtigkeit sollte den Preis bestimmen – und nicht ein vermeintliches „Gesetz“ von Angebot und Nachfrage.

Die Handelspartner sind ungleich mächtig

Wie aber kann man einen gerechten Preis bestimmen? Darüber ist viel Hirnschmalz vergossen worden und im Detail kann man dazu viel zu sagen. Aber die Grundlinien sind nicht schwer zu begreifen: Der Produzent eines Gutes muss ein anständiges Auskommen haben und die Konsumenten von lebenswichtigen Gütern müssen es zu erschwinglichen Preisen beziehen können: Es soll einen Ausgleich zwischen Produzenten- und Konsumenteninteressen geben.

Und noch etwas sahen die Denker des Mittelalters schärfer als heutige Ökonomen: Dieser Ausgleich gerät am ehesten in Gefahr, wenn sich zwei ungleich mächtige Handelspartner gegenüberstehen. Der Verhungernde und der Fernhändler, der Getreide anliefert, agieren nicht auf Augenhöhe: Ein Preis, den die beiden frei aushandeln, ist sicher kein gerechter Preis, kein Preis, der beider Auskommen in gleicher Weise berücksichtigt. Deshalb gab es nicht selten in mittelalterlichen Städten Preistaxen für lebenswichtige Güter: also von der Obrigkeit festgelegte Preise.

Mindestlohn und Mindestpreise

Das ist ein einfaches und probates Mittel, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen: Wir kennen das noch bei einem gesetzlichen Mindestlohn, da wird ein Mindestpreis für die Arbeit festgelegt. Aber wenn die Arbeit für unsere Güter weiter weg stattfindet, bei den Näherinnen in Bangladesh eben, dann sollen wir die Modefirmen nicht auf einen existenzsichernden Mindestlohn in der gesamten Lieferkette gesetzlich festlegen?

Oder wenn es um andere lebenswichtige Güter geht wie Wohnraum, dann bricht bei gesetzlich fixierten Höchstpreisen gleich die Planwirtschaft aus? Wohl kaum. Stattdessen erwarten wir das Gemeinwohl wider alle Erfahrung vom freien Wechselspiel von Angebot und Nachfrage und damit letztlich vom Recht des Stärkeren am Markt. Das ist absurd. Da war der menschliche Geist schon mal weiter.

Deutschlandradio Kultur / Politisches Feuillleton am 13.11.2018