Buchcover (Ausschnitt)

Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch

Eine Rezension.

Sein Leben war durch die großen Weltereignisse geprägt: Die Kriegsbegeisterung der deutschen Theologen während des ersten Weltkrieges brachte ihn zu seiner neuen Theologie. Als Schweizer gegenüber dem deutschen Nationalismus immun sah er 1933 die Katastrophe frühzeitig kommen und schuf mit der Barmer Theologischen Erklärung  ein Dokument das historischen Rang beanspruchen darf. Und zugleich ragt sein meterlanges Hauptwerk, die Kirchliche Dogmatik, scheinbar zeitlos von oben in die Welt.

Schon lange war es an der Zeit für eine neue große Biografie und einen frischen Blick auf das Leben von Karl Barth, denn das bisherige deutschsprachige Standardwerk von Eberhard Busch, einem Assistenten von Karl Barth, ist bereits Mitte der Siebziger Jahre erschienen. Die persönliche und zeitliche Nähe zu Barths Leben war für eine kritische Würdigung diesen reichen Lebens nicht eben förderlich. Außerdem hat die Familie Barth inzwischen auch die Briefe zwischen Karl Barth und seiner Sekretärin und Assistentin Charlotte, genannt Lollo, von Kirschbaum, freigegeben. Die Korrespondenz macht deutlich, was Insider immer schon wussten: Die beiden waren ein Liebespaar. Das Besondere war, dass Barth mit dieser Situation gegenüber seiner Ehefrau Nelly sehr offen umgegangen ist: Lollo von Kirschbaum lebte über 30 Jahre im Haushalt der Familie Barth mit. Die Biografin, die Züricher Theologin Christiane Tietz, urteilt sehr zurückhaltend:

Die 2008 veröffentlichten Briefe zeigen, wie alle drei an der Situation litten und auf je ihre Weise so ernsthaft wie möglich versuchten, sich gegenüber den beiden anderen verantwortlich zu verhalten. (S. 188)

Die Briefe zeigen neben der tiefen Zuneigung zwischen Karl und Lollo auch eine Mischung aus dem Bemühen den eigenen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden und einer gewissen Entscheidungsschwäche, die im Kontrast steht zu dem öffentlichen Karl Barth, der nach seinem eigenen Selbstbild, den kirchlich und politisch Mächtigen immer freimütig widerstanden habe.

Christiane Tietz hält sich auch beim theologischen und öffentlichen Wirken Barths mit Wertungen zurück, dabei gäbe es da viel zu erklären und zu kontextualisieren: Der Schweizer Pfarrer erlebte die deutsche Kriegsbegeisterung 1914 als Bankrotterklärung der liberalen Theologie. Die war für ihn der Versuch, Religion als Teil der menschlichen Kultur zu beschreiben. Dies führte aus seiner Sicht dazu, dass die Religion kein kritisches Potential mehr gegenüber der Kultur entfalten könne. Demgegenüber suchte Barth einen Standpunkt jenseits des historischen Werdens, er wollte von Gott her denken, der ganz anders sei als der Mensch und sich von keinem menschlichen Projekt vereinnahmen lasse. Aber hat nicht auch Barth, der in seiner großen Dogmatik auf vielen hundert Seiten Gott beschrieb, diesen vereinnahmt? Barth selber sah hier keinen Widerspruch, sondern lediglich die Entfaltung von Negation und Position:

„Die liberale Theologie bleib weit hinter mir zurück, mit der habe ich kaum mehr stark zu tun gehabt, das war jetzt überwunden, aber wie man es jetzt besser macht, das war jetzt die Frage, wie man es besser macht. Es hat keinen Sinn sich jetzt ewig herumzuschlagen und Opposition zu machen.“

Christiane Tietz übernimmt oftmals die Selbsteinschätzung Barths über sein Leben. Dies betrifft auch Barths hellsichtige politischer Haltung. Seine Ablehnung des Nationalsozialismus sah er darin begründet,

„weil ich sah, dass das liebe deutsche Volk da anfing einen falschen Gott anzubeten. Eine ganz unerfreuliche unmögliche Sache, dass da plötzlich so ein Kerl wie der Hitler…, sie haben ihn ja sogar auf den Altar gestellt an einigen Orten und geistig haben sie es ohnehin getan.“

Barths Einschätzung, dass die richtige politische Haltung der Kirchen nur aus der richtigen theologischen Erkenntnis kommen könne, wird durch einen Briefwechsel in Frage gestellt: Die evangelische Lehrerin Elisabeth Schmitz drängte Barth schon 1933 zu einem öffentlichen Protest gegen die Diskriminierung und Verfolgung der Juden. Das Problem ist nicht, dass Barth sich hier einer frühen Stellungnahme enthalten, sondern wie er es begründet hat: Statt sich aus liberalem Universalismus und christlicher Nächstenliebe für Juden zu engagieren, schien es ihm für die Kirche vordringlicher sich mit sich selber und ihrem Bekenntnis zu beschäftigen. Es verwundert, dass Tietz bei allem Materialreichtum diesen hoch bezeichnenden Briefwechsel überhaupt nicht erwähnt! Die liberale Protestantin Elisabeth Schmitz würde das Bild stören, dass man nur mit der richtigen Theologie den politischen „Mächten und Gewalten“ widerstehen könne.

Denn darum geht es der Theologin Christiane Tietz, die sich mit großer Akribie durch das reichhaltige Werk und die Korrespondenz von Barth gearbeitet hat: Sie will Barths theologischen Ansatz als weiterhin wegweisend darstellen. Eine Kontextualisierung von Barths Theologie erscheint ihr dabei gerade als Gefährdung dieses Anliegens:

Im deutschsprachigen Raum […] fand in den letzten Jahren eine weitreichende Abwendung von Barths Theologie statt. Als einen Entwurf, der angesichts der historischen Herausforderungen Plausibilität besitzt und der sich ideengeschichtlich verorten und kontextualisieren lässt, ließ man ihn gelten. Aber für die heutige Zeit rief man nach einem Post-Barthianismus, der wieder an die liberalen theologischen Entwürfe des 19. Jahrhunderts anknüpft. (S. 418)

Dem stellt sich Christiane Tietz mit ihrem Buch entgegen. So bleibt ihre Biografie, die sicher zu einem Standardwerk werden wird, ein Lebensbild aus der theologischen Familie der Barthianer.

Christiane Tietz, Karl Barth. Ein Leben im Widerspruch, Verlag C.H.Beck, München 2018, 538 Seiten, 29,95 Euro.

WDR 3 / Mosaik am 7. 12.2018