Alexandermosaik aus Pompeji (ca. 100 v.Chr.)

Hellenistische Globalisierung

Eine Rezension.

Epochengrenzen helfen die Geschichte zu verstehen; aber sie können ebenso der Grund für Wahrnehmungsstörungen sein: Für die Zeit zwischen dem klassischen griechischen Altertum und der Festigung des römischen Imperiums hat der Historiker Gustav Droysen im 19. Jahrhundert den Begriff Hellenismus geprägt: Diese Epoche beginnt mit Alexander dem Großen, der am Ende des 4. Jahrhunderts vor Christus von Griechenland aus ein Weltreich schuf; die Epoche endet gewöhnlich mit der Schlacht bei Actium im Jahr 31 vor Christus: Das letzte griechische Königreich, Ägypten unter Königin Kleopatra, fiel an Rom.

Diese an der politischen Geschichte orientierte Einteilung ist angesichts der fortdauernden Wirkung der griechischen Kultur im Römischen Reich unbefriedigend; das ist schon länger klar. So sollte es nicht auf Widerstand stoßen, wenn Angelos Chaniotis die Zeit des Hellenismus bis zum Tod des römischen Kaisers Hadrian im Jahr 138 nach Christus verlängert. Wichtiger noch als diese neue Epochengrenze ist es, dass Chaniotis die Zeit des Hellenismus aufwertet: Er befreit diese Epoche von jedem Geruch einer bloßen Zwischenzeit zwischen der Blüte Griechenlands und der Macht Roms. Nein, so Chaniotis, dies sei die Zeit einer ersten Globalisierung, also des Zusammenwachsens der damals bekannten Welt. Chaniotius sieht in der Zeit des Hellenismus einen Spiegel für unsere Gegenwart, die von vergleichbaren Strukturen geprägt sei, nämlich einem Multikulturalismus, einer hohen Mobilität der Menschen und einem prägenden Einfluss von Städten.

Den als Diadochen bezeichneten Nachfolgern von Alexander dem Großen gelang es zwar nicht, sein Weltreich zu bewahren; es zerfiel in verschiedene Reiche. Die umfassten aber immer noch mehrere Kontinente und Kulturen und deren Herrscher waren Mitglieder von zum Teil Jahrhunderte währenden Dynastien: die Seleukiden und die Ptolemäer. Sie erst mussten die Länder und Kulturen, die Alexander erobert hatte, zusammenhalten und verwalten. Ihre Mischung aus zentraler Verwaltung und lokaler Autonomie schuf ein Modell, das in vielen Facetten später von Rom übernommen wurde. Zwar ließen sich die hellenistischen Könige als Götter oder Gottgleiche verehren, aber dennoch mussten sie mit der lokalen Autonomie der Städte kooperieren und konnten nicht einfach von oben nach unten durchregieren. So forderten die Könige auch keine Alleinverehrung, sondern gesellten sich pantheistisch neben die lokalen Gottheiten. Fast schon modern-aufgeklärt mutet die Sicht an, wonach es ihre Macht und Wirksamkeit ist, die Könige auf die Stufe der Götter hebt: Wenn sie Schutz bieten können und Frieden, dann sind sie göttlicher Ehren wert. Näher waren den Menschen aber städtische Institutionen wie Gymnasium und Theater, Vereine und nicht zuletzt die in dieser Zeit sich vermehrenden religiösen Kulte: Sie boten den Menschen Beheimatungsmöglichkeiten angesichts der Zumutungen von Krieg und oftmals erzwungener Migration.

Differenziert beschreibt Chaniotis, welche Traditionen der Griechen im Römischen Reich weiterwirkten und wo der Einfluss Roms zu Veränderungen führte: Die alten demokratischen Strukturen der Stadtstaaten, in denen sich Bürger als Gleiche begegneten, veränderten sich immer stärker zu hierarchischen Patron-Klienten-Verhältnissen. In Querschnittskapitel zur Herrschaftsausübung, Gesellschaftsstruktur, Kultur und Religion zeichnet Chaniotis ein lebendiges Bild dieser Epoche. Demgegenüber fallen die Kapitel, die der Ereignisgeschichte gewidmet sind, etwas ab: Die immer neuen Kriege und Hofintrigen ermüden etwas und bleiben ähnlich oberflächlich wie die Nachrichten der Tagesschau.

Chaniotis hat einen eingängigen Stil; er zeigt auf, worin sich Gegenwart und Vergangenheit spiegeln können: Geld und Macht Einzelner unterminieren demokratische Strukturen. Oder: Menschen, die von außerhalb ihrer Lebenswelt regiert werden, suchen sich Identitätsanker. Vielleicht erweckt Chaniotis manchmal den Eindruck als ginge es über alle Epochen hinweg um das gleiche Menschlich-allzumenschliche; man könnte ihm vorwerfen, dass er zu wenig das Bewusstsein für die Andersheit der Vergangenheit schärft. Aber dafür gewinnt sein Buch an Anschaulichkeit und an politischer Relevanz.

Angelos Chaniotis, Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus, wbg theiss, Darmstadt 2019, 542 Seiten, 35 Euro.

SWR 2 Lesenswert am 21.1.2020