Eine Rezension.
Wie ist das Geld entstanden: Aus dem Tauschhandel, dem Kredit oder dem antiken Opferwesen – und was sagt das über das Wesen des Geldes aus? Es ist erstaunlich, dass bei so etwas Alltäglichem wie dem Geld die Wissenschaft noch immer keine allgemein akzeptierten Lösungen gefunden hat. Eske Bockelmann spart nicht mit mehr oder weniger höhnischer Schelte für viele bisherige Versuche dem Geld auf den Grund zu gehen und er kündigt in der Einleitung indirekt eine kopernikanische Wende an beim Verständnis dessen, was Geld sei. Selbstbewusstsein hat der Autor.
Seine überraschende These: Geld gebe es erst seit dem 16. Jahrhundert; alles, was davor an Münzen oder Krediten in Umlauf gewesen sei, werde nur fälschlich als Geld angesehen; es sei nämlich lediglich von Fall zu Fall genutzt worden eine Verpflichtung einzulösen; es sei noch kein allgemeines Tauschmittel gewesen. Und demzufolge hätten die mit Münzen oder Krediten bezahlten Dinge in den Augen der antiken oder mittelalterlichen Menschen keinen festen Wert gehabt. Man habe sich – orientiert am jeweiligen Nutzen – auf einen geschätzten Ausgleich von Münzen und Gütern geeinigt.
An Bockelmanns Sicht ist sicher erstmal richtig, dass man sich hüten muss in die Vergangenheit die Verhältnisse der Gegenwart hineinzulesen: Nur wenn von Münzen die Rede ist, heißt das nicht, dass es Märkte und wirtschaftliche Verhältnisse gab, die den unseren ähnlich wären. Gut ist auch die Aufnahme von ethnologischen Erkenntnissen rund um das Thema Gabentausch: Es gab und gibt immer auch andere Modi des Tausches als die Zahlung, die sich an einem Tauschwert orientiert.
Aber das Problem in der Darstellung von Bockelmann ist, dass er eine „große Transformation“ zu Beginn der europäischen Neuzeit behauptet. Durch diesen starren Epochenbruch muss er alle an einem Tauschwert orientierten Zahlungen und Wirtschaftsverhältnisse kleinreden, die es auch schon in Antike und Mittelalter gegeben hat: Das ist vor allem im weiten Feld des Fernhandels der Fall, den Bockelmann mit wenig überzeugenden Gründen als ein marginales Phänomen abtut, als ginge es da nur um Kleinkrämerei: Es waren aber wichtige Güter, wie Sklaven oder Getreide, die oft mit Geld bezahlt werden mussten; es gab Handel, der auf Gelderwerb zielte; es gab auch Konjunkturen – bei Knappheit steigende Preise – also das, was wir als Märkte bezeichnen. Und es gab eine reiche Diskussion über die Angemessenheit von Preisen, also darüber, was Güter wert sein durften – in der Antike wie im Mittelalter; eine Diskussion, die Bockelmann aber nicht sonderlich zu interessieren scheint.
Wenn er dann mit seiner Darstellung an den Beginn der Neuzeit kommt, erwartet man nach dem bisherigen einen wundersamen Wandel. Auf einmal aber backt der Autor deutlich kleinere Brötchen, präsentiert gut abgehangene Kenntnisse über die Entstehung von Städten, Handel und Kapital im Mittelalter, um dann zu sagen, dass diese Phänomene neben feudalen Wirtschaftsbeziehungen existiert hätten. Das Neue im Laufe der frühen Neuzeit hätte lediglich darin bestanden, dass Kauf und Verkauf nun zum dominanten Modus der Versorgung geworden seien, und damit jedes Gut einen Preis bekommen habe. Das ist unbestritten, dass sich die Gewichte verschoben haben, und die vom Kapital ausgehende Geldwirtschaft sich immer weiter verbreitet hat bis „alles Ständische und Stehende verdampft“ war, wie es im Kommunistischen Manifest heißt. Aber das ist nun wirklich keine grundstürzend neue Erkenntnis.
Es ist doch wohl eher so, dass es zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Modi des Austauschs parallel nebeneinander gegeben hat – in jeweils unterschiedlichen Gewichtsanteilen. Die Behauptung eines großen Epochenbruches in ein geldloses Vorher und eine Geldwirtschaft nachher hilft kaum zu einer differenzierten Analyse, wie denn der Herrschaft des Geldes zu begegnen sei. Für Bockelmann steht am Schluss die romantische Hoffnung auf eine Welt ohne Geld, die es ja angeblich fast 200.000 Jahren lang gegeben habe, bevor Europa auf den „Abweg“ der allgemeinen Geldwirtschaft gekommen sei. Dass uns mit so einer Schwarz-Weiß-Folie geholfen ist, darf bezweifelt werden.
Eske Bockelmann, Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht, Matthes und Seitz, Berlin 2020, 370 Seiten, 28 Euro.
SWR 2 Lesenswert Kritik am 13.7.2020