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Mit Tätern telefonieren.

Eine Rezension.

Als es noch keine Forschungskommissionen getan haben, hat es Johannes Heibel getan; nämlich „innerkirchliche Abläufe bei sexuellem Missbrauch durch Kleriker“ aufzudecken. So lautete der Untertitel seines Buches aus dem Jahr 2014 mit dem Titel „Der Pfarrer und die Detektive“. Darin hat er auch den Fall eines Pfarrers W. untersucht, der schließlich wegen Missbrauch verurteilt wurde und zuvor durch drei Diözesen verschoben worden war. Eine der Diözesen war das Bistum Limburg; deswegen taucht Pfarrer W. auch in dem Aufarbeitungsbericht auf, den das Bistum im Juni vorgelegt hat. Dort werden auch Heibels zähe Recherchen gewürdigt:

„Erst der von der ‚Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen‘ ausgeübte Druck sowie ein von einem Publizisten verfasstes Buch mit dem Titel ‚Der Pfarrer und die Detektive‘ führen am 26.6.2016 zur Entlassung aus dem Klerikerstand“ (S. 114 in der ungekürzten Fassung, die nicht online vorliegt).

Es wäre freilich ein freundlicheres Zeichen gewesen nicht nur die Gruppe zu nennen, bei der Heibel mitarbeitet, sondern auch ihn selber.

Parallel zum Erscheinen des Limburger Aufarbeitungsberichtes hat Heibel nachgelegt und veröffentlicht jetzt ein interessantes Detail seiner Recherchen, nämlich die Nachschrift eines Interviews, das er mit Pfarrer W. im Jahr 2000 kurz nach dessen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs geführt hat: „Telefonat mit einem Priestertäter“ heißt das kleine Buch. Das Setting des Telefonats ist kurios: Heibel ruft das Pfarramt in der ehemaligen Gemeinde von W. an, um mit dessen Nachfolger zu sprechen. Stattdessen meldet sich W., der sich aber am Telefon als Pastoralreferent der Gemeinde ausgibt. Heibel bemerkt die Scharade, aber er lässt sich auf das Gespräch ein: Vielleicht kann er dem Täter im Schutz von dessen Maskierung näher kommen und ihn zu einer Offenheit bewegen, die er vor Gericht nicht zeigen konnte.

Um es vorweg zu nehmen: Das Gespräch ist keine Entlarvung und kein Dokument einer neuen Offenheit, es zeigt vielmehr die „Banalität des Bösen“: Der Täter versucht im Gewand einer lächerlichen Maskierung weiter sein Selbstbild aufrecht zu erhalten, wonach er bei Kindern beliebt und niemals sexuelle Absichten gehabt habe. Statt Empathie mit seinen Opfern zu zeigen, ist er um seinen Ruf besorgt, bestreitet alle Vorwürfe oder redet sie klein. Das Gespräch ist ein lebhafter Ausweis von W.s Nicht-Begreifen oder kirchlich gesprochen: von seiner Unbußfertigkeit.

Dass W. damit kein Einzelfall ist, ist inzwischen offenkundig:

„Keiner der […] angeschriebenen überlebenden Beschuldigten setzte sich mit dem [Aufarbeitungs-]Team in Verbindung“, heißt es in einer Zusammenfassung zum Limburger Aufarbeitungsbericht. „Auch hier zeigt sich die mangelnde Verantwortungsübernahme für die Taten. […] Keiner der Beschuldigten scheint das Ausmaß seines verübten Missbrauchs zu erkennen. […] An Empathiefähigkeit mangelte es den Akten nach wohl allen Beschuldigten.“

Dass dies nicht nur für die direkten Täter gilt, sondern auch für die leitenden Geistlichen, die ihre Taten oftmals vertuscht haben, macht der ehemalige Frankfurter Richter Josef Brill, Mitarbeiter am Limburger Aufarbeitungsbericht, klar: Alle befragten Personalverantwortlichen und Generalvikare, die seit 2010 nicht mehr im Dienst seien, hätten „mehr oder weniger versucht, sich herauszureden oder sich auf Erinnerungslücken zu berufen“.

Umgang mit Missbrauch stellt christliche Botschaft in Frage

Johannes Heibel hat seinem Buch ein Motto von Wolfgang Kieckbusch vorangestellt:

„Der für mich wichtigste Aspekt an dieser Schmuddelgeschichte ist der, dass die Priester und ihre Kirche ganz offensichtlich gar nicht an den Gott glauben, den sie ihrer Klientel verkaufen möchten. Sonst würden sie dessen Eingreifen fürchten.“

Diese Einschätzung, die sich wohl manchem Beobachter aufdrängen mag, zeigt, worum es für die Kirche geht: Ihre zentrale Botschaft von Schuld und Vergebung wird extrem unglaubwürdig angesichts von Geistlichen, die sich nicht zu ihrer Schuld stellen können, die augenscheinlich nicht an die heilbringende Wirkung von Schuldbekenntnis und tätiger Reue glauben, obwohl sie diese anderen anempfehlen – oder die meinen Schuld könne im stillen Kämmerlein mit Gott bearbeitet werden ohne die Opfer der bösen Taten einzubeziehen. Die Botschaft von Schuld und Vergebung wird entbehrlich, wenn sie die Hörer*innen nicht motivieren kann anders mit Schuld umzugehen als es die meisten ohnehin tun: abstreiten, kleinreden, relativieren.

Eine Ausnahme unter den hohen Geistlichen ist der ehemalige Limburger Bischof Franz Kamphaus, der zur Geschichte von Pfarrer W. im letzten Jahr bekannt hat:

„Mit Blick auf diesen Fall ist mir heute klar, dass ich entschiedener hätte durchgreifen müssen“, so Kamphaus in einer persönlichen Erklärung, „der Einsatz dieses Priesters in der Seelsorge des Bistums Limburg und seine spätere Versetzung in ein anderes Bistum waren schwere Fehler. Opfern wäre Missbrauch erspart geblieben. Hier habe ich schwere Schuld auf mich geladen.“

Das Geständnis kommt nach Heibels Einschätzung zu spät. Dennoch empfiehlt er in seinem Buch auch den anderen Bischöfen diese Ehrlichkeit. Bisher ist Kamphaus als Einzelfall anzusehen.

Johannes Heibel, Telefonat mit einem Priestertäter. Ein verurteilter Pfarrer gibt sich als Pastoralreferent aus (84 Seiten) kann für 6,95 Euro (inkl. Versand) bei der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e. V. bestellt werden.