Karl Barths Arbeitszimmer; nebenan arbeitete die Geliebte Charlotte von Kirschbaum. Foto: Concord, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50189956

Undogmatische Dreiecksbeziehung

Eine Rezension.

Ein Ehemann findet eine neue Liebe, lebt aber nicht heimlich mit ihr und lässt sich auch nicht scheiden, sondern redet offen mit seiner Ehefrau – und holt die Geliebte ins gemeinsame Haus zu Frau und Kindern, wo die drei Erwachsenen über drei Jahrzehnte lang zusammen leben. Wenn das kein Stoff für einen Roman ist – noch dazu, wenn es sich bei dem Mann um den renommiertesten Theologen des 20. Jahrhunderts Karl Barth handelt.

„In solch einer Dreierbeziehung, die haben 35 Jahre zu dritt in einem Haus gelebt; das ist ja im Grunde genommen psychologisch der Horror schlechthin.“

Der Schriftsteller und Theologe Klaas Huizing hat dennoch keine Horrorgeschichten aufgeschrieben, sondern erzählt in seinem Roman „Zu dritt“ Stationen dieser schwierigen Liebesgeschichte aus wechselnden Perspektiven. So gelingt ihm, was wohl Karl Barth über weite Strecken erfolglos anstrebte: Huizing wird allen dreien gerecht. Keine und keiner steht als der Dumme da, jede wird mit ihren Gefühlen ernst genommen und dem Leser nahegebracht. Zuerst das Liebespaar Karl und Charlotte, das sich im Ferienhaus von Freunden zum ersten Mal begegnet und bei Charlotte das bange Fragen auslöst, ob der ältere Professor sie wirklich für voll nehme und liebe:

Wie oft hatte er sie gelobt, für ihre schnelle Auffassungsgabe, für ihren geäußerten Wunsch, künftig die alten Sprachen zu lernen, hatte sogar die Idee in den Raum geworfen, sie, Lollo, könne seine künftige Sekretärin werden. Nein, ganz entschieden nein. Sie war nicht eingebildet, Karl hatte sie erwählt. Es gab kein anderes Wort dafür. ERWÄHLT. (S. 33)

Das Bild des großen Theologen ist angekratzt

Huizing ist dafür bekannt, dass seine Romane anspielungsreich sind. Die Erwählungslehre ist eines der theologischen Lehrstücke, die der Theologe Karl Barth revolutioniert hat. Gott habe unterschiedslos alle Menschen zum Heil erwählt, auch Hitler müsse mit der Gnade Gottes rechnen.

Huizing macht hier klar: Der Erfahrungsgrund, um von Gottes Erwählung zu reden, liegt in der menschlichen Liebe. Hier zeigt sich neben der Beziehungsgeschichte eine weitere Ebene des Romans: Der Theologe Karl Barth, der gerade nicht menschliche Erlebnisse religiös deuten, sondern nur von Gott reden wollte, der musste doch seine persönlichen Erlebnisse übereins bringen mit dem, was er glaubte.

Die daraus sich ergebenden Skrupel, das Suchen nach Kompromissen, das hilflose Beschwichtigen, weil die Kompromisse eben doch untragbar waren, das Zurückschrecken vor einer Scheidung – das alles zeichnet Huizing psychologisch plausibel nach. Aber für manche kratzt er damit zu sehr am Bild des großen Theologen, der ganz von seiner Sache, also der Theologie, eingenommen gewesen sei.Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, urteilte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

Auf befremdliche Weise verbindet Huizings Buch ausführliche Zitate aus dem Briefwechsel Barth-Kirschbaum und aus Barths Werken mit ausufernden sexuellen Phantasien und frei erfundenen Dialogen.

In der Tat blendet Huizing Auszüge aus dem realen Briefwechsel zwischen Karl und Charlotte ein, um kenntlich zu machen, von welchen Texten seine Phantasie ausgeht.

„Die drei haben im Grunde genommen kein Versteckspiel geführ“, meint Huizing, „das waren eher die Anhänger, die damit gar nicht umgehen konnten. Dann hat es doch immerhin noch von den damals lebenden Kindern den Entschluss gegeben, die Liebesbriefe zu veröffentlichen. Und wenn man die Liebesbriefe genau liest, sieht man, es ist auch eine sexuelle Liebesgeschichte, daran ist jetzt überhaupt nicht mehr zu deuteln.“

„Ausufernde sexuelle Phantasien“ findet man in den Briefen freilich so wenig wie in Huizings Buch. Huizing beschreibt sehr einfühlsam und metaphorisch gut eingekleidet, wie Lollo und Karl miteinander schlafen – das gehört zu einem Roman über eine Liebesbeziehung dazu. Manchem aber mag es schon zu viel sein, sich vorzustellen, wie Karl Barth schnalzend ein Kondom überstreift.

Theologisch begründete Barth die Monogamie

Vielleicht noch ärgerlicher für manchen Barthianer: Huizing zitiert auch die Stelle aus der Kirchlichen Dogmatik, dem Hauptwerk von Barth, in dem er die Monogamie preist:

Wenn die Ehe in das Licht des göttlichen Gebotes tritt, dann wird sichtbar: sie ist exklusive Lebensgemeinschaft. […] Sie kennt keinen Dritten und keine Dritte: nicht im Geheimnis jenes Lebendigen und Freudigen, das die Mitte des Ganzen bildet – nicht vor der Aufgabe und in der Arbeit, die da zu zweien zu tun ist – nicht in der Dialektik von Freiheit, Gemeinschaft und Ordnung, die da zu durchleben, zu durchleiden und gut oder schlecht zu meistern zweier – und nur dieser zwei – Menschen Bestimmung ist. Ehe ist wesensmäßig Einehe. (S. 275)

Klaas Huizing: „Also im Roman habe ich es so gedeutet, dass es eine tiefe Verletzung bei Lollo von Kirschbaum hinterlassen hat, als sie diese Textstellen dann endgültig gedruckt las. Er musste damit rechnen, dass sie das als Demütigung deutet. Aber Karl Barth war natürlich immer auch so, dass er versuchte aus seiner Theologie bestimmte ideale Positionen zu beschreiben und offenbar hat er das so gedeutet, dass die Monogamie eigentlich von der Struktur her das höchste sei – gelebt hat er es freilich nicht.“

Auch dies verweist über die Ebene der Romanhandlung hinaus auf einen theologischen Punkt, den Huizing als Barth-Kritiker aufscheinen lässt: Wer nicht bereit ist, von menschlichen Erlebnissen her das Dogma neu zu deuten, sondern nur senkrecht von oben argumentiert, dem bleibt am Ende nur der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit als lebenslanger Begleiter.

Klaas Huizing: Zu dritt. Karl Barth, Nelly Barth, Charlotte von Kirschbaum,
Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2018, 400 Seiten, 25 Euro.

Deutschlandfunk Kultur / Religionen am 9.12.2018