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„Viel mehr als das, was Kirchen zu zahlen bereit sind.“

Amtshaftung der Kirchen bei Missbrauch.

Viele Missbrauchsüberlebenden waren enttäuscht als die Deutsche Bischofskonferenz im März ankündigte, lediglich die Zahlungen in Anerkennung des Leides zu erhöhen – aber nicht, wie ursprünglich versprochen, auch Entschädigung zu leisten für materielle Verluste die Überlebende sexueller Gewalt erlitten haben. Höhere Zahlungen würden erhebliche Prüfverfahren voraussetzen, so Bischof Georg Bätzing damals im WDR 5 Interview, die man den einzelnen Betroffene ersparen wolle. Schon damals konnte man fragen: Will man den Betroffenen Prüfungen ersparen oder der Kirche hohe Ausgaben? In staatlichen Verfahren zur Opferentschädigung wird – zum Leidwesen der Betroffenen – oft hart und nicht immer nachvollziehbar geprüft, in der Tat. Andererseits zeigen die gesetzlichen Rahmen der staatlichen Entschädigung, dass die Kirchen eigentlich viel höhere Summen zahlen müssten.

Es war eine Erlösung, als er letztes Jahr endlich von einer Vertreterin des Erzbistums Köln hörte: „Wir glauben Ihnen“. Er, der anonym bleiben will, hatte 2004 einen Missbrauch im Kindesalter durch einen Priester beim Erzbistum angezeigt; damals war ihm nicht geglaubt worden. Nun wollte er diese erlösende Nachricht auch schriftlich haben – denn: Neben der Rehabilitation, die das bedeutet, plant er auch beim Landschaftsverband Rheinland Hilfen nach dem Opferentschädigungsgesetz, kurz OEG, zu beantragen. Dafür muss er plausibel machen können, dass er Opfer einer Gewalttat geworden ist.
Auch Kerstin Claus weiß, wie schwer es ist, einen Missbrauch nachzuweisen. Sie hat selber von einem evangelischen Pfarrer sexuelle Gewalt erlitten und OEG-Hilfen bekommen:

„Für Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend ist natürlich der Nachweis der Tat extrem schwierig, denn es liegt nun mal als typischer Faktor der Taten vor, dass niemand dabei ist; das heißt: wie soll ich als Betroffene nachweisen, dass ich einmal oder über einen Zeitraum von einem Täter X sexuell missbraucht wurde – das ist sehr schwer.“

Daran würden viele Antragstellungen scheitern, erklärt Claus. Und: Bei den OEG-Hilfen geht es um viel Geld:

„Das ist ein sehr weitgehender Anspruch den sozialen Abstieg verhindern soll und Armutsfolgen verhindern oder beseitigen soll“, so Claus.

Zum Beispiel durch das Zahlen eines Verdienstausfalls oder einer Umschulung. Und noch etwas leistet das Opferentschädigungsgesetz:

„Dass das Opfer sich im Anschluss an eine Gewalttat nicht mit dem Täter zivilrechtlich auseinandersetzen muss, sondern der Staat die Schadensersatzansprüche quasi übernimmt und befriedigt und damit das Opfer entlastet“, sagt Thomas Kerner.

Er ist Leiter der Abteilung soziale Entschädigung beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, der bayerischen Landesbehörde für Sozialleistungen. Das heißt, die Behörde stellt dem mutmaßlichen Täter einen Teil der OEG-Leistungen in Rechnung.
So war es auch im Fall von Kerstin Claus; allerdings wurde nicht nur der Pfarrer als Täter in Regress genommen, sondern auch sein Dienstherr: die bayerische Landeskirche.

„Was denkbar wäre“, so Kerner, „dass man unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung Institutionen in Regress nimmt, also eben den Staat oder andere Behörden, und es gäbe auf diesem Wege auch die Möglichkeit die beiden großen christlichen Kirchen in Regress zu nehmen, weil die als Amtsträger behandelt werden.“

Die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes und deswegen haften sie für Versehen oder Verbrechen, die Geistliche in Ausübung ihres Dienstes begehen. In diesem Sinne urteilte auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages im Jahr 2010: „Festzuhalten bleibt, dass auch Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch Geistliche Amtshaftungsansprüche auslösen können.“

Im Fall von Kerstin Claus weigerte sich die bayerische Landeskirche erst zu zahlen, schloss aber dann in einem Gerichtsverfahren einen Vergleich mit der bayerischen Landesbehörde – unbestätigten Angaben nach ging es um rund 100.000 Euro.

„Auch der relativ hohe Betrag deckt keinesfalls die Kosten, die in dem Fall das Land Bayern für mich aufbringen muss über meine Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz“, so Claus, „und dennoch ist es viel, viel höher als was Kirchen bereit wären zu zahlen.“

Der Mann, der beim Erzbistum Köln um eine Bestätigung nachfragte, dass man ihm glaube, Opfer von Missbrauch geworden zu sein – bekam einen negativen Bescheid: Ein Anwalt schrieb im Auftrag des Erzbistums, er möge sich an das Gespräch mit Kardinal Woelki erinnern: „Mit welch persönlicher Anteilnahme und Empathie insbesondere Kardinal Woelki seine Anliegen und Bemühungen um die Bewältigung des von ihm erlittenen Leides entgegennahm und ihm dabei jede mögliche Unterstützung zusagte.“

Aber dann hieß es in dem Anwaltsbrief weiter, dass es keinen „Sonderweg“ für ihn gebe und auch keine „‘offizielle Bestätigung‘ für die Anerkennung der Missbrauchsfälle durch das Erzbistum“. Das Erzbistum Köln antwortet auf WDR-Nachfrage schriftlich, dass man „den zuständigen Stellen“ bei OEG-Verfahren Informationen zur Beweiserhebung zur Verfügung stelle. Kerstin Claus ist empört über das Anwaltsschreiben:

„Das ist absolut niederschmetternd und das ist eine Erfahrung, die Betroffene im Kontext der Kirchen regelmäßig machen; dass ihnen einerseits von höchsten Kirchenvertretern gesagt wird: Ja, ich glaube Dir. Und gleichzeitig wenn ich sage: Ja ich habe einen entsprechenden Gesundheitsschaden, ich bräuchte Unterstützung und ich möchte diesen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz stellen, dann gleichzeitig so im Regen stehen gelassen zu werden – und dann häufig von Kirchen zu hören: Sie können ja zur Anerkennung des Leids einen Antrag stellen und das sind dann irgendwie diese 5000 Euro, die in keiner Weise vergleichbar sind mit den Möglichkeiten und Optionen, die einem das Opferentschädigungsgesetz eröffnen kann.“

WDR 5 Diesseits von Eden am 21.6.2020