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Das verkörperte Bewusstsein ist nicht simulierbar.

Der Mensch ist ein lebendiges Wesen aus Körper und Geist. Das ist banal und doch sind es mitunter die einfachen Dinge, die am meisten Kopfzerbrechen bereiten: Bis heute ist nämlich nicht wirklich geklärt, wie denn nun Körper und Geist zusammenhängen: Wie kann aus körperlichen Vollzügen so etwas wie Bewusstsein entstehen, also ein Wahrnehmen und Wissen um sich selber und die Welt? Und weil die Verbindung von Körper und Geist eben doch schwer zu durchschauen ist, fehlt es nicht an Versuchen, das Unerklärliche handhabbar zu machen, indem man die Verbindung von Körper und Geist in Frage stellt: Vielleicht ist letztlich doch nur das Gehirn als vermeintlicher Sitz des Geistes entscheidend, um eine menschliche Person zu definieren? Und umgekehrt, aber eigentlich komplementär zur ersten Reduktion: Vielleicht kommt es nur auf körperliche Vollzüge an: Ist das, was wir Bewusstsein nennen, nur eine Illusion, deren reale Grundlage körperliche Vorgänge im Gehirn sind wie die Aktivität von Neuronen?

Beide Reduktionen sind keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Philosophen, sondern Grundlage von Zukunftsentwürfen und deswegen hoch relevant. Die „Idealisten der Information“ wollen das Hirn des Menschen mit Computern koppeln: entweder um das menschliche Hirn im Computer zu simulieren und weiterzuentwickeln oder menschliche mit künstlichen Intelligenzen aufzufrischen. Auch die Vorstellung, dass Geist nur ein Ergebnis körperlicher Vollzüge sei, will den Menschen verstehbar und replizierbar zu machen, um ihn zum Beispiel medikamentös zu vervollkommnen.

Demgegenüber setzt nun der Heidelberger Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs seine Verteidigung des Menschen an und besteht auf dem Selbstverständlichen: der Mensch ist eine lebendiges Wesen aus Geist und Körper. Nur durch körperliche Vollzüge sind wir in der Welt und mit der Welt verbunden und nur durch körperliche Vollzüge bildet sich ein menschliches Selbstbewusstsein. Starke Argumente zieht Fuchs aus der Sozialisation von Babys und Kleinkindern: Sie finden sich immer schon in einem Raum mit anderen vor – meist den Eltern – deren körperlicher Präsenz sie wahrnehmen und die in ihnen vielfältige Resonanzen auslöst. Später kommt das bewusste Verstehen hinzu – Zeigen und Benennen von Gegenständen: eine Mischung aus Körper und Geist. So bilden sich körperlich die Hirnstrukturen aus und geistig das Bewusstsein der Kinder von sich selber und der Welt.

Unerlässlich ist dafür der Kontakt mit anderen Menschen. Das führt Fuchs zu seiner schönen These, dass das Gehirn des Menschen ein Beziehungsorgan sei. Nicht ein einzelnes Genie entwickelt etwas in seinem Gehirn, sondern ein menschlicher Geist braucht immer die körperliche und geistige Resonanz mit anderen lebenden Wesen: Geist ist letztlich etwas Interpersonelles und er ist immer verkörpert. Jeder Mensch ist in einem geistig-körperlichen Stoffwechsel mit anderen Lebewesen verbunden und kann ohne diese nicht sein.

Darum warnt Fuchs zu Recht: Wenn wir uns nach dem Bild von Maschinen verstehen, verkennen wir wichtige Fähigkeiten, die eben nur Menschen eigen sind: Gefühle haben, Farben, Gerüche oder Töne auf eine subjektive Art und Weise empfinden, ethisch handeln, entscheiden und sich selbst Ziele stecken. All dies macht Menschen gegenüber Maschinen unverwechselbar. Diese menschlichen Fähigkeiten aber leiden, wenn wir sie an Maschinen delegieren; wenn wir zum Beispiel Entscheidungen als klar definierte Input–Output–Muster Computerprogrammen überlassen und nicht mehr in die Verantwortung von Menschen stellen. Oder wenn wir Menschen mit Maschinen kommunizieren lassen, die keine menschlichen Resonanzen ermöglichen. Fuchs ist dabei kein Kulturpessimist, der alle technischen Neuerungen ablehnt, aber er besteht darauf, dass alle Maschinen immer nur Werkzeuge in den Händen von Menschen sein sollten – und nicht Menschen ersetzen dürften.

Neben dieser klaren Positionierung in einer aktuelle Debatten ist Fuchs Buch aber auch ein schönes philosophisches Trostbuch: Es fördert Sinn und Geschmack für das Besondere der menschlichen Existenz, deren Rätsel nicht vollständig aufgeschlüsselt werden können und die deswegen auch nicht replizierbar ist. Fuchs ist völlig frei von metaphysischen Spitzfindigkeiten und theologischen Mucken, aber er lehrt Demut sich mit der conditio humana auszusöhnen: der Mensch ist fern davon perfekt zu sein, aber die Evolution hat ein ziemlich gut angepasstes menschliches Wesen hervorgebracht, das so wie es ist, gar nicht so schlecht ist.

Thomas Fuchs, Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2020, 336 Seiten, 22 Euro.

SWR 2 / Lesenswert Buchkritik am 1.9.2020