Foto: Nic McPhee, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43561748

Geld ist immer genug da?

Eine Rezension.

Die Schweizer sollen am 10. Juni über eine weitreichende Reform ihres Finanzsystems abstimmen: Die sogenannte Vollgeld-Initiative will, dass die Zentralbank der Schweiz die volle Kontrolle über die Schaffung neuen Geldes übernimmt. Ja, hat sie die denn nicht, möchte man besorgt fragen. Nein, sagen die Befürworter der Initiative. Denn ca. 90 Prozent der Schweizer Franken würden von den Geschäftsbanken als Kredit in die Welt gesetzt. Die britische Ökonomin Ann Pettifor stimmt nun, was die grundsätzlichen Erklärung der „Produktion des Geldes“ angeht mit der Vollgeld-Bewegung überein – allein sie kommt zu anderen Schlussfolgerungen.

Pettifor bestätigt, dass die Geschäftsbanken nicht, wie viele glauben, einfach die Ersparnisse der einen als Kredit für andere verteilen. Mit der Gewährung eines Kredites schüfen die Banken neues Geld. Die Pointe von Pettifor ist, dass deswegen Geld niemals knapp werden könne. Es sei keine Ware wie andere auch, denn es könne ja jederzeit neu geschaffen werden, wenn Kreditnehmer da wären, die etwas gewinnträchtiges mit dem Geld anzufangen wüssten. Und hier trennen sich dann die Wege der Vollgeld-Bewegung und von Ann Pettifor. Denn was der Vollgeld-Bewegung das Problem ist, dass unkontrolliert Geld geschaffen werden könne, was dann zu Blasen und Krisen führe, das ist Pettifor ein Gewinn: Durch die Geldschöpfung aus dem Nichts sei immer genug Geld für alle gesellschaftlich wichtigen Projekte da – und wenn Privatpersonen nicht genug Geschäftsideen hätten, dann könne der Staat sich verschulden, Einkommen generieren, das er dann über Steuern wieder abschöpfe zur Kredittilgung.

Pettifor macht keinen Hehl daraus, aus welchem ideologischen Schützengraben sie kommt: John Maynard Keynes war für sie der größte Ökonom der letzten 200 Jahre. Und sie nimmt Ihr Idol gegen den Vorwurf in Schutz, Keynes sei es nur um Staatsausgaben und Steuern gegangen. Nein, noch zentraler sei ein strenges Geldregime, also die Kontrolle der Zinssätze, die wesentlich für die Stimulierung der Wirtschaftstätigkeit sei.

Nun ist es heute so, dass die Zentralbanken den Leitzins festlegen, zu dem Geschäftsbanken von der Zentralbank Geld leihen können. Aber, und hier treffen sich nochmal die Wege von Pettifor und Vollgeld-Bewegung, diese Steuerung über den Leitzinssatz sei nicht ausreichend. Die Geschäftsbanken gäben die derzeit günstigen Konditionen des Leitzinses nicht automatisch an ihre Kunden weiter bzw. investierten das billige Geld nicht in die Bereiche die gesellschaftlich nützlich seien, sondern in für sie lukrativere spekulative Projekte.

Die Vollgeld-Theoretiker wollen deswegen den Geschäftsbanken die Geldschöpfungsfähigkeit wegnehmen: Die Banken sollen nur noch Geld, das sie von anderen Kunden einwerben oder von der Zentralbank in vollem Umfang aufnehmen, als Kredit vergeben können. Damit könnte die Zentralbank das in Umlauf befindliche Geld komplett kontrollieren. Pettifor kontert: Es komme nicht auf die Quantität des Geldes an, also die absolute Geldmenge, die im Umlauf sei, sondern auch die Qualität des Geldes, das heißt, zu welchem Zinssatz es vergeben werde. Die Auseinandersetzung mit der Vollgeld-Idee nimmt einen breiten Raum ein in Pettifors Buch und hebt das Thema auf ein Niveau, das hierzulande nur selten erreicht wird. Dabei werden auch die ungelösten Probleme auf beiden Seiten deutlich: Wenn man die Geldmenge per Zentralbank kontrolliere, so Pettifor zu Recht, werde Geld doch zu einer knappen Ware und es stände zu befürchten, dass der Zinssatz in die Höhe schieße.

Wenn aber, wie Pettifor es will, der effektiv zu zahlende Zinssatz streng reguliert werde und der Staat durch Verschuldung neues Geld schaffe, dann bliebe die Wirtschaft weiter auf einem permanenten Wachstumskurs, der aus ökologischen Gründen immer fragwürdiger wird. Schulden sind, das muss man Pettifor entgegenhalten, nicht nur Möglichmacher für die Zukunft, sie sind auch Lasten: Das im Kredit heute geschaffene Geld muss morgen seinen Wert wieder einspielen durch Produktion oder Dienstleistungen einschließlich dem dafür erforderlichen Naturverbrauch – selbst bei moderatem Zinssatz.

In dem klar und verständlich geschriebenen Buch von Pettifor bekommt man zwei radikale und bedenkenswerte Reform-Ideen mit ihren Stärken und Schwächen vorgeführt.

Ann Pettifor, Die Produktion des Geldes. Ein Plädoyer wider die Macht der Banken, Hamburger Edition, Hamburg 2018, 232 Seiten, 28 €.

SWR 2 / Lesenswert Kritik am 2.5.2018