Buchcover (Ausschnitt)

Der Mensch als Gebender

Eine Rezension.

Funktioniert die Wirtschaft nur über Konkurrenz und Wettbewerb? Nein, sagten etwa 40 französischsprachige Intellektuelle und veröffentlichten im Jahr 2013 das Konvivialistische Manifest. Konvivial bedeutet dabei so viel wie: friedlich und kooperativ zusammenleben. Der Hamburger Soziologe Frank Adloff hat es nicht nur seinerzeit übernommen, das Manifest auf deutsch bekannt zu machen; jetzt legt er auch mit seinem Buch „Politik der Gabe“ sozusagen die Theorie hinter dem Manifest vor.

Menschen handeln nicht nur zweckrational miteinander, also mit Blick auf den eigenen Vorteil, den andere ihnen bringen. Es gibt viele Lebensbereiche – Familie, Freundschaft, zivilgesellschaftliches Engagement – die erkennbar anders funktionieren; und doch hat sich der Glaube festgesetzt, dass wenn es um die Wirtschaft geht, eben doch nur auf den Eigennutz der Beteiligten Verlass sei.

Diesen Glauben irritierte Marcel Mauss mit seiner 1925 veröffentlichten Abhandlung über die Gabe. Darin zeigte er, aufbauend auf ethnologischen Forschungen, dass Ökonomie anderswo nach andern Prinzipien funktionierte als im Europa seiner Zeit; und dieses Andere nannte er Gabe. Was aber ist eine Gabe und wie unterscheidet sie sich von kapitalistischen Tauschvorgängen? Das ist eine Frage, über die auch unter den Fans von Marcel Mauss Uneinigkeit besteht – und jedes Buch, dass Mauss erklären will, muss erstmal schwere Arbeit am Begriff leisten. So auch Frank Adloff. Zwar seien Gabe und Tausch beide auf Wechselseitigkeit angelegt, aber anders als der Tausch kenne die Gabenbeziehung keine vorab fest vereinbarte Gegenleistung:

Die Logik der Gabe unterscheidet sich fundamental vom marktförmigen Tausch. Denn im Rahmen der Gabe weiß man nicht, ob etwas erwidert wird, was man erwidert bekommt und wann man etwas zurückerhält. Dies liegt jeweils in der Hand des Empfängers einer Gabe. Beim Tausch einigen sich hingegen beide Parteien vor dem Transfer über die Modalitäten, und es fließen vereinbarte Güter in beide Richtungen. (S. 59)

Als Beispiel für eine Gabenbeziehung kann man an Bürokollegen denken, die reihum jeweils den Kaffee für alle zahlen. Es wird nicht exakt festgehalten, wer wie oft und wie viel gezahlt hat, so dass schlußendlich manche etwas mehr und andere etwas weniger für die gemeinsamen Kaffeerunden ausgeben. Diese auf Wechselseitigkeit angelegte Gabe, so Adloff, riskiere Vertrauen und ziele auf gegenseitige Anerkennung.

So weit, so schön. Problematisch ist das Gegenbild, das Adloff zeichnet und von dem er sich abgrenzt, nämlich die kapitalistischen Tauschbeziehungen. Adloff sieht hier eine Welt strenger Symmetrien und strikter Äquivalenzen:

Die Welt der Warenwerte ist die Welt der Äquivalente; die Welt der Gaben, die überhaupt erst Werte kreiert, ist hingegen die Welt, die sich dem Vergleich und dem Äquivalententausch entzieht. Soziale und kulturelle Werte definieren sich im Gegensatz zu monetären und Warenwerten gerade dadurch, dass sie einzigartig sind und nicht in einen äquivalenten Vergleich gebracht werden können. (S. 167)

Nun müssen sich aber auch Gaben dem Vergleich aussetzen: Ein Kollege aus der Kaffeerunde, der immer nur andere für seinen Kaffee zahlen ließe, würde sich irgendwann unbeliebt machen. Aber noch wichtiger: Der kapitalistische Tausch ist kein Tausch von Äquivalenten, also Wertgleichem. Damit geht Adloff der liberalen Vorstellung auf den Leim, die behauptet, dass beide Parteien, wenn sie freiwillig miteinander handelten, immer einen gleich großen Nutzen aus einem eingegangenen Geschäft zögen – sonst würden sie es ja nicht eingehen. Diese behauptete Nutzengleichheit ist aber eine Chimäre angesichts der realen Machtungleichgewichte auf dem Markt: Viele stimmen einem Geschäft nur notgedrungen und zähneknirschend zu, die mächtigen Player können die Tauschkonditionen setzen. Mit Hilfe der alteuropäischen Gerechtigkeitssemantik kann man sogar sagen, dass im Kapitalismus kategorial ungleich getauscht wird. Demnach käme es viel mehr darauf an zu fragen, wie ein gleichwertiger Tausch aussehen könnte und nicht darum, ob die Symmetrie des Tausches strikt nachgerechnet oder großzügig riskiert wird. Die Gabe ist nicht das Ganz Andere zum kapitalistischen Tausch.

Trotz dieses grundsätzlichen Einwandes hält Adloffs Buch eine Menge interessanter Einsichten bereit, vor allem, wenn er die anthropologischen Grundlagen der Ökonomie thematisiert. Adloff weist zu Recht darauf hin, dass der homo oeconomicus, der zweckrational seinen Vorteil suche, keineswegs so universal ist wie er behauptet werde und zudem erst durch seine ständige Behauptung geschaffen werde. Der Mensch habe durchaus Anlagen und Möglichkeiten für kooperatives Handeln. Ja, Adloff geht so weit mit Blick auf Ergebnisse der Evolutionsbiologie und der Verhaltensforschung zu behaupten, dass der Mensch nicht auf Wettbewerb, sondern auf friedliche Kooperation, also Konvivialität, hin angelegt sei.

Man muss diese Sichtweise nicht von außen an die Menschen herantragen und sie auffordern sich zu ändern und endlich tugendhaft zu werden. Nein, diese Praktiken und Sinnbezüge existieren schon allenthalben, müssen allerdings gestärkt werden. Praktisch wird Konvivialität nämlich schon in einer Vielzahl von sozialen Konstellationen gelebt; sowieso im familiären und freundschaftlichen Rahmen, in dem nach wie vor die Logik der Gabe und nicht die des utilitaristischen Kalküls zählt. Dann in hunderttausenden von assoziativen Projekten der Zivilgesellschaft weltweit, im freiwilligen Engagement, im Dritten Sektor, in der solidarischen Ökonomie, in Kooperativen und Genossenschaften, im moralischen Konsum, in NGOs, […] sozialen Bewegungen, Fair Trade, der Commons-Bewegung und vielem mehr. (S. 246)

Demnach kommt es darauf an, den Menschen Interaktionsformen anzubieten, in denen sie ihre sozialen Anlagen realisieren können. Umgekehrt sei es eben auch möglich, die Menschen zu rationalen Zweckoptimierern zu erziehen, aber das ist eben keine Naturnotwendigkeit. Durch das plausible Beschreiben der menschlichen Möglichkeiten gewinnt Adloff einen utopischen Horizont und korrigiert das ökonomische Menschenbild: Wir können auch anders!

Frank Adloff, Politik der Gabe. Für ein anderes Zusammenleben, Nautilus Flugschrift, Hamburg 2018, 320 Seiten, 18 €.

WDR 3 / Mosaik vom 19.10.2018