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Macht teilen

Eine Rezension.

Wer das Amt hat, hat die Macht; so ist das in der katholischen Kirche. Da werden die Christen in zwei verschiedene Arten einteilt: geweihte Amtsträger und sogenannte Laien. Nun wundert sich der katholische Theologe Thomas Ruster in seinem Buch „Balance of Powers“, dass bei aller Reformdiskussion in der katholischen Kirche, die zentrale Rolle, die der Priester für die Feier der Messe hat, nicht hinterfragt wird:

Katholikinnen und Katholiken glauben, dass der Priester, wenn er die Wandlungsworte spricht, Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt. Und sie glauben zugleich, dass, wenn sie als Laien dasselbe tun, nichts geschieht. Seltsam ist es: Nach meiner Erfahrung ist diese Überzeugung selbst bei den kritischsten, emanzipatorischsten katholischen Christen noch weithin ungebrochen in Geltung, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Darum kämpften zum Beispiel in dem Pastoralbereich, in dem ich von 2013 bis 2017 Pfarrgemeinderatsvorsitzender war, die Vertreter der Gemeinden verbissen darum, dass ihnen am Sonntag ein Priester für die Messe zur Verfügung steht. Der Gedanke, dass sie auch ohne Priester die Messe feiern können, kommt ihnen nicht. (S. 74)

Eine gründliche Dekonstruktion

Es ist nichts weniger als eine gründliche Dekonstruktion des katholischen Amtsverständnisses, die Thomas Ruster in seinem Buch vorlegt: Er zerlegt das Amt in drei Bestandteile und setzt die Teile wieder neu zusammen.

„Das ist erst mal ganz einfach gedacht“, erklärt Thomas Ruster, „es gibt diese drei Vollmachten, diese drei Kompetenzen, die ein Amtsträger hat, der Bischof wie auch der Priester. Diese drei Vollmachten zu lehren, zu leiten und zu heiligen. Und die kann man auch auf verschiedene Personen verteilen. Dann käme eben so eine Balance auf Powers zustande, also ein Gleichgewicht der Kräfte. Und es würde diese Art von kirchlichem Machtabsolutismus, dass man immer diese drei Vollmachten in einer Person vereinigt hat, damit aufgelöst.“

Bei der Dekonstruktion macht Ruster klar, dass das heutige Amtsverständnis sich aus den Fragestellungen und Vorstellungen ferner Zeiten, z. B. des Hochmittelalters, begründet und heute nicht mehr zu überzeugen vermag; so erscheint der Zölibat als verzweifelter Versuch, eine bestimmte Personengruppe als heilige Männer auszusondern:

Indem nun aber die Vollmacht zur Wandlung nur einem bestimmten Stand und Personenkreis zugesprochen wird, ergibt es sich, dass die Person des Priesters selbst in die Nähe des Heiligen rückt. Unter seinen Händen kommt Gott in die Welt. Vermutlich ist von hier aus auch der Zölibat zu erklären, so schwer die Ehelosigkeit des Priesters und sein Verzicht auf die Gründung einer eigenen Familie sonst auch zu verstehen und– vor allem– durchzuhalten sind. Eine Person aber, die Gott gegenwärtig machen kann, muss etwas Außerordentliches, Übernatürliches an sich haben. Wie könnte das besser dargestellt werden als im Verzicht auf das, was als das Natürlichste gilt? (S. 77f.)

Funktionen für die Kirche

Ruster zerlegt das Amt nicht nur in die Bestandteile Leiten, Lehren und Heiligen, sondern begründet das Amt von seiner Funktion her: Es geht nicht mehr um einen Stand heiliger Männer, sondern darum, dass diese Funktionen für die Kirche ausgeführt werden. In dieser Perspektive ist es folgerichtig, dass die drei Ämter auch auf Zeit vergeben werden können, an Frauen und Männer, die natürlich jeweils verheiratet sein können. Außerdem sollen die Gemeinden selber geeignete Kandidatinnen und Kandidaten dem Bischof zur Weihe vorschlagen, weil die Funktionen der Amtsträger ja Ihnen zugute kommen sollen. Das klingt sehr protestantisch, aber Ruster bleibt ein guter Katholik, insofern als er das Bischofsamt von seiner Dekonstruktion ausnimmt: Der Bischof…

„…soll bleiben. Sonst hätte man eine andere Kirche. Wir sind eine episkopale Kirche, das ist seit 2000 Jahren Tradition. Das hat auch einen guten Sinn, weil der Bischof eben die Einheit seines Bistums auch einer Person darstellen muss. Er hat die drei Vollmachten inne und kann sie deswegen auch in der Weihe ausspenden. Das macht schon noch Sinn, den Bischof in diesem Sinne zu behalten. Trotzdem wäre die Hierarchie deutlich flacher. Sie käme eben von unten. Denn die Vorschläge, wer eine solche Weihe empfangen könnte, kommen dann von unten, also von der Gemeinde selbst. Das wäre die entscheidende Instanz.“

Es einfach selber machen

Diese Beibehaltung des alle drei Funktionen umfassenden Bischofsamtes kann man als Protestant inkonsequent finden, aber es ist klar, dass Rusters Ideen schon weit hinausführen über gegenwärtige katholische Reformdebatten, von denen Ruster nicht allzu viel erwartet: Seine Vision sind Gemeinden und Bischöfe, die in einem Akt zivilen Ungehorsams im Sinne seines Modells einfach neue Ämter schaffen:

„Die Bischöfe haben die Wahl, an dem alten Modell festzuhalten. Dann lassen sie zunehmend Gemeinden einfach unversorgt und die Kirche regelrecht verkommen. Oder sie besinnen sich auf neue Möglichkeiten des Amtes. Da ist mein Modell sicherlich etwas, was mit einer guten theologischen, biblischen Begründung ansteht, hier zur Wahl zu stehen. Ob das dann durchkommt, weiß ich nicht. Aber zunehmend, das wäre auch meine andere Option, werden sich Gruppen, also Gemeinden bilden, die nicht identisch sind mit Kirchturms-Gemeinden klassischen Sinns, also mit Pfarreien, die von sich aus so eine Struktur einfach wählen, weil die eben sich natürlicherweise auch ergibt.“

Bleibt die Frage, ob diejenigen, die jetzt noch an die alleinige Wandlungsmacht der Priester und die Entscheidungsmacht der Bischöfe glauben, schon bald zu Ungehorsamen werden, die einfach ihr Ding machen – ohne Genehmigung von oben.

WDR 3 Buchkritik am 3.4.2020