Der Vorschlag der Oppositionsparteien zur Entflechtung von Staat und Kirche.
Seit mehr als hundert Jahren steht ein unerledigter Verfassungsauftrag im Raum: die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen abzulösen. Diese Zahlungen stammen aus der Zeit, als Staat und Kirche noch nicht getrennt waren, sondern die Kirchen aus den staatlichen Ministerien regiert und von dort mit Zuschüssen für Kirchenleitung, Pfarrbesoldung oder die Pensionskassen bedacht wurden. Es geht also nicht um die Refinanzierung von sozialen oder pädagogischen Diensten, und es hat auch nichts mit der Kirchensteuer zu tun. Die Staatsleistungen, die die Kirchen von den Bundesländern bekommen, stehen ihnen zur freien Verfügung. 2020 werden es 570 Millionen Euro sein. Nach Ansicht der Kirchen sind es Entschädigungszahlungen für Eigentumsverluste während der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Doch diese Ansicht ist fragwürdig.
Die Nationalversammlung, die die Weimarer Verfassung verabschiedete, wollte über diese Staatszuschüsse nicht endgültig entscheiden: »Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf«, heißt es in Artikel 138. Solch ein Grundsätzegesetz vom Reichstag kam aber nie zustande. Stattdessen haben die Kirchen in Konkordaten und Staatskirchenverträgen pauschale Summen für die alten Zuschüsse vertraglich fixiert: Statt Ablösen also Festschreiben der staatlichen Zahlungen. Dasselbe geschah nach 1949 im Westen und nach 1990 in den östlichen Bundesländern, als das Grundgesetz der Bundesrepublik die alte Forderung aus der Weimarer Reichsverfassung unverändert übernommen hatte. Außer Bremen und Hamburg zahlen alle Bundesländer heute Staatsleistungen.
Kirchenfromme Opposition
Nun haben drei Oppositionsparteien im Bundestag – FDP, Grüne und die Linkspartei – einen Entwurf für ein Grundsätzegesetz vorgelegt, nach dem die Bundesländer zu Ablösegesetzen verpflichtet werden sollen. Lange Zeit galt solch eine Initiative als kirchenfeindlich. Doch das hat sich geändert: Die Kirchen sind selbst nicht mehr glücklich mit diesen Zahlungen, die nur einen geringen Teil ihrer Einnahmen ausmachen, für die sie aber regelmäßig schlechte Presse bekommen. Außerdem ist inzwischen selbst die Opposition bereit, den Kirchen weit entgegen zu kommen. So zeigte sich Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland, nicht unzufrieden über den Entwurf: »Für uns ist wichtig, dass das Äquivalenzprinzip festgehalten wird«, erklärte er. Äquivalenzprinzip heißt, dass es eine wertgleiche Entschädigung für die Staatsleistungen geben soll. Dutzmann übersetzt das so: Die Kirchen müssten aus der Ablösesumme Erträge in Höhe der bisherigen Staatsleistungen erwirtschaften können.
Geschichtspolitik
Im Gesetzesentwurf heißt es dazu: Die Ablösesumme solle das 18,6-fache der bisherigen Staatsleistungen umfassen; also ca. 10,6 Milliarden Euro bundesweit. Der Faktor 18,6 stammt aus dem Bewertungsgesetz und beziffert dort die Ablösung immerwährender Leistungen in einer Einmalzahlung. Die Festlegung auf eine wertgleiche Ablöse verdankt sich allerdings einer Fiktion: So behaupten Kirchenvertreter immer wieder, dass es bei den Staatsleistungen um Entschädigungen für Eigentumsverluste während der Säkularisation ginge. Doch das ist besonders im Fall der evangelischen Kirche fragwürdig, weil der Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) von 1803 mit der Auflösung und Enteignungen der geistlichen Fürstentümer und zahlreicher Klöster in erster Linie die katholische Kirche getroffen hat. Für diese Enteignungen sind den Kirchen im RDHS auch keine „wertgleichen“ Entschädigungen zugesagt worden, sondern lediglich, dass die Landesherren für die Finanzierung der Religion aufkommen werden.
Neuere Stimmen in der juristischen Diskussion zeigen: Man hätte sich in dem Gesetzentwurf keineswegs auf die wertgleiche Ablöse festlegen müssen, sondern auch eine für die Haushalte der Bundesländer günstigere Abwägung vornehmen können. Den Verfassungsvätern von 1919 ging es nicht darum, historisches Unrecht zu entschädigen, sondern darum Kirche und Staat vollständig zu entflechten. Nachdem das Provisorium der Weimarer Verfassung hundert Jahre zum Vorteil der Kirchen gehalten hat, bekäme die Kirche mit dem jetzt vorgestellten Gesetzentwurf nochmal ein großzügiges Abschiedsgeschenk vom Staat.
Publik Forum vom 27.3.2020