Das war schon schräg: Kardinal Rainer Maria Woelki bat im Weihnachtsgottesdienst um Verzeihung nicht dafür, dass er etwas falsch gemacht habe, sondern er entschuldigte sich bei den Gläubigen dafür, was sie an Kritik an ihm ertragen mussten, einer Kritik die ihm galt, die aber – so meinte es der Kardinal – auch die Gläubigen mit ertragen müssten. Statt Einsicht in das eigene Tun also Wagenburg-Mentalität: Wer den Kardinal anrührt, der rührt die ganze Herde der Gläubigen an.
Zu Beginn des neuen Jahres setzte der Personalchef des Erzbistums, Mike Kolb, noch einen drauf: In einer Predigt erklärte er, Machtmissbrauch aufzudecken sei schwerer als die Aufdeckung zu fordern oder herbeizuschreiben – also wieder Journalistenschelte. Und Machtmissbrauch aufzudecken und Verantwortliche zu benennen, so Kolb, das hätten „alle“ nicht gelernt; auch der Erzbischof nicht.
Das stimmt sicher, aber es taugt nicht wirklich als Entschuldigung oder mildernder Umstand, es zeigt nur die ganze Problematik: Rainer Maria Woelki war jahrelang Teil eines Systems, von dem in den letzten Wochen offenbar wurde, dass es Macht missbraucht hat, um Täter zu schützen – diese Aufdeckung geschah übrigens durch die Arbeit von Journalisten. Im System Meisner, in dem Priestertäter nicht bestraft und Kinder nicht adäquat geschützt wurden, ist Woelki zu dem geworden, der er ist: Meisner verdankt er es zu einem wesentlichen Teil, dass er erst zum Erzbischof von Berlin und dann von Köln ernannt worden ist. Er ist ja nicht Erzbischof von Köln geworden, um mit dem Machtmissbrauch seines Vorgängers aufzuräumen, sondern er ist es geworden, weil er einer von Meisners Leuten war!
Er hat manches anders gemacht als sein Vorgänger – auch beim Umgang mit Missbrauch: Zum Beispiel eine Interventionsstelle geschaffen. Das ist gut, aber kein hinreichender Beleg dafür, dass er der richtige Mann für die Aufdeckung von Machtmissbrauch ist. Das muss er – in der Tat – erst lernen, weil er unter Meisner nur das Vertuschen lernen konnte – und das Ducken vor dem Alten.
Das heißt, genauer gesagt muss Woelki nicht lernen, sondern umlernen unter dem Druck der Öffentlichkeit. Das Schicksal teilt er mit vielen, wenn nicht allen, amtierenden Kirchenfürsten. Vielleicht wäre es besser, das Leitungsamt denen überlassen, die nicht erst umschulen müssen, sondern bereits mehr Kompetenz und Sensibilität beim Umgang mit Missbrauch und Macht bewiesen haben. Von einer Führungskraft könnte man doch erwarten, dass sie die geforderten Kompetenzen bereits mitbringt und nicht erst on the job lernen muss. Und nochwas: Nur der kann doch glaubwürdig gegen den Missbrauch von Macht vorgehen, der bereit ist, Macht auf mehreren Schultern zu verteilen, damit sie hinfort nicht mehr so leicht missbraucht werden kann. Aber auch dies hat der Kölner Kardinal – so ist zu vermuten – noch nicht gelernt.
In gekürzter Fassung gesendet auf WDR 5 Diesseits von Eden am 10.1.2021
Doris Reisinger über Entschuldigungen von Bischöfen in der ZEIT